RAUMBILDUNG

Wahrnehmung von Sozialität

Websites reihen sich über Verlinkungen in ein Netz wie Gebäude in das Stadtbild ein. Es gibt einen sichtbaren, öffentlichen Teil und einen verborgenen Teil der Architektur. In einigen Gebäuden sind wir willkommen, können uns frei bewegen und partizipieren, wie auf Websites, die zur Interaktion einladen. Websites und Gebäude heben sich jeweils in ihrer Konstruktion und Ästhetik von anderen Modellen ab.

Wie im urbanen Raum können wir alte und neue, bewohnte und verlassene Websites finden. Es gibt Fertighäuser und Homepage Baukästen, die in vorgefertigten Modulen zusammengesetzt werden und Modelle, die aufwendig exakt für den bestimmten Bauplatz in dieser Umgebung und für speziell diese Personen geplant und gebaut werden. Architektur - jeglicher Form - ist von kulturellen und soziologischen Aspekten beeinflusst. Es gibt, abhängig vom Nutzen eines Gebäudes oder einer Website, bestimmte Raumaufteilungen und Raumgrößen. Grundrisse (Wireframes und Schemata) unterscheiden sich. Auch die Formsprache von Architektur wandelt sich, unter anderem durch die Weiterentwicklung von Materialien und neuen Wege der räumlichen Konstruktion, die sich durch Benutzererwartungen an den Raum (materiell wie immateriell) im stetigen Prozess befinden.

„Die etymologische Bedeutung des Substantivs Raum ist aufschlussreich. Es leitet sich aus vom Verb »räumen« ab, was so viel bedeutet wie ‚Platz schaffen, leer-, freimachen; verlassen, fortschaffen‘ (vgl. Pries 1997:19). Als ursprüngliche Bedeutung verzeichnet das Grimmsche Wörterbuch für ‚räumen‘: ‚einen Raum, d.h. eine Lichtung im Walde schaffen, behufs Urbarmachung oder Ansiedlung‘ (nach Bollnow 1989: 33). Raum steht für ‚einen uralten Ausdruck der Ansiedler [...], der zunächst die Handlung des Bodens und Freimachen einer Wildnis für einen Siedelplatz bezeichnete [...], dann den so gewonnenen Siedelplatz selbst‘. Diese Bedeutung kann man gar nicht genug hervorheben, denn Raum bedeutet demnach nicht einfach Boden oder Fläche. Selbst als geografischer Raum ist der Raum nicht immer schon vorhanden, sondern muss erst durch menschliche Tätigkeit hervorgebracht werden. Keineswegs also wird auf einen ursprünglich vorhandenen, immer schon gegebenen natürlichen Raum Bezug genommen.“

Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (2005)

Ich mag diesen Gedanken des Urbarmachens. Wir verbringen viel Zeit im Internet, dort sollen (wie in der materiellen Architektur) Räume für Gemeinschaft entstehen, Räume zum Lehren und Lernen, Räume zum Sammeln und Ordnen, Räume für Gedankenaustausch und Inspiration. Wie wird ein Siedelplatz gefunden, ein Raum geschaffen? Den Werkstoff stellt in der immateriellen Architektur womöglich der Code dar, der in seiner Konsistenz und Qualität verschiedene Formen annehmen kann. Mit handwerklicher Fähigkeit wird addiert und abgetragen, renoviert und geformt. Nach Konzeption, Planung, Gestaltung und Umsetzung entsteht eine Konstruktion auf dem Siedelplatz. Die IP beschreibt den Wohnsitz, als Adresse erscheint die Domain.

Schroer stellt fest, dass „jenseits der Frage, ob Nähe und Ferne im Internet noch ausschlaggebende Unterscheidungskriterien darstellen, deutlich [wird], dass sie durch jeden User selbst konstruiert werden. Jeder User schafft sich gewissermaßen seine eigene Topologie/Topografie. Aus dem sicheren Terrain des Eigenen und Privaten heraus werden die Erkundungen in den Möglichkeitsraum, in den flüssigen Datenraum unternommen.“022005
Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums
Es besteht also das unbekannte, große Außen und ein Innen. Der übersichtliche, bekannte Raum, der Geborgenheit und Sicherheit vermittelt, von wo aus man Fortgehen und Heimkehren kann, wird abgesteckt, in einer Form begrenzt. Schroer beobachtet ein „Sich-Einrichten im Netz, eine Inbesitznahme von Räumen, einen Bau von Häusern (den »homepages«) und damit den Aufbau einer vertrauten Nahwelt [...], die nach und nach eine eigene Geografie von begrenzten und umzäunten Räumen entstehen lässt [...].“ 032005
Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums
Die Hoffnung bleibt, dass die Zäune nicht weiter durch Mauern ersetzt werden und die Höhe und Dichte der Grenzen denen eines alten Gartenzauns ähneln, über den man spähen und durch Beobachtung der Entwicklung und Austausch teilnehmen kann.

„Everyone tends his or her own little epistemological garden, growing ideas from seed and sharing them with anyone who comes by.“

https://thecreativeindependent.com

Die eigene Geographie wahrzunehmen, auszubauen und dabei Fehler zu erlauben und Brachland sowie langsames Bearbeiten dessen zu schätzen, wäre von Vorteil. Wie in Großstädten Keller und Durchgangszimmer vermietet werden, werden Anwendungen, die das Teilen von Bildern ermöglichen, dazu verwendet, Material zu teilen, das eher Werbeanzeigen ähnelt. 052014
vgl. Jon Kyle: Trans-Catalina Day Three
  Private Räume werden kommerzialisiert, Inhalt und Austausch treten in den Hintergrund. Kleine Foren sowie persönliche Blogs und Websites können eine Landschaft für Konversationen zwischen Einzelpersonen oder Gemeinschaften schaffen.

„We lost public space. Online public space. Facebook and Google are shopping malls, but we think they are parks!“

Aral Balkan

01 Markus Schroer:

Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (2005), S.29

02 Markus Schroer:

Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (2005), S.273 f.

03 Markus Schroer:

Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (2005), S.272 f.

04 Paul Ford in Laurel Schwulst (04.2019):

What can a website be?

05 Jon Kyle: (04.2019):

May 29, 2018 — Trans-Catalina Day Three, Two Harbors

06 Aral Balkan (04.2019):

We lost public space.

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