RAUMBEGRIFF

Bewegliche Gebilde durch Verknüpfungen

Was ist eigentlich Raum? Was beschreibt Raum? Um eine Vorstellung zu bekommen, lese und sammle ich Aussagen zum Raumbegriff.

Erste Erklärungsversuche findet man bei Platon (um 428-347 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.). Neben „Sein“ und „Werden“ suchte Platon nach einer neuen Größe, um die Welt zu beschreiben. Der Raum, als neue Gattung, sollte alles „Werden“ – Geistiges und Materielles – absorbieren. 012005
vgl. Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums

„Der Raum selbst gehört also weder zum immer Seienden noch zum Gewordenen, das an einem Ort (Topos) Anfang und Ende findet, sondern nimmt eine Zwischenstellung ein.“

Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (2005)

Platon führt demzufolge „Raum“ als neues Prinzip bzw. Gattung ein. Aristoteles erscheinen die Erläuterungen und Erklärungen Platons zu der neuen Gattung „Raum“ zu oberflächlich. Auf zwei Wegen versucht Aristoteles, zu neuen Erkenntnissen zu kommen.012005
vgl. Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums
Schroer beschreibt, dass Aristoteles in der Kategorienlehre den „Raum als die Summe aller von Körpern eingenommenen Örter betrachtet. Der Ort selbst ist Teil des Raums, dessen Grenzen mit den Grenzen des ihn einnehmenden Körpers zusammenfallen.“ 012005
Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums
Aus Sicht der Physik nimmt Aristoteles an, dass sich Dinge an einem Ort verbinden und die Bewegung auf einen Ort zu als allgemeinste Form bezeichnet werden kann.012005
vgl. Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums
Die Untersuchungen von Bewegungen und Veränderungen bringen Aristoteles zum Raumbegriff.

„Bewegung ist ohne Raum und Zeit nicht feststellbar. Ohne Ort (topos), Leere (kenon) und Zeit (chronos) gäbe es keine Bewegung.“

Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (2005)

Bewegungen bedeuten dabei an einem Ort bewegte Körper. Der Ort eines Körpers ist das Äußerste, die Grenze der umgebenden Körper. Das Modell vom Ort als Schachtel oder gefüllter Behälter besteht lang und beeinflusst zahlreiche nachfolgenden Konzepte. Im absoluten Verständnis wird der Raum als Hülle (Container-Metapher des Raumes) gesehen. Diese Hülle existiert unabhängig vom Beobachter oder von den darin befindlichen Körpern, Objekten und Vorgängen. Ein leerer Behälter oder Raum kann existieren, was beim relativen Raummodell nicht der Fall sein kann.

„Nicht selten entsteht der Eindruck, so formuliert es die Geographin Doreen Massey, ‚die Zeit schreite fort, während der Raum nur herumlungert‘ (Massey 1993, 118). In der absolutistischen Denkfigur existieren zwar Bewegungen im Raum, aber keine bewegten Räume. Das heißt, sich verändernde Gebilde und konkurrierende Raumkonstruktionen an einem Ort, die gerade durch die zugrundeliegenden Aushandlungsprozesse immer fließend sind, werden systematisch ausgeschlossen. [...] Diese Kritik an der Begriffsbildung trifft für den Raum, wie er im absolutistischen Kontext gebildet wird, in besonderem Maße zu. Indem Bewegung immer nur in ihm (oder in Bezug auf ihn) stattfindet, ist Raum geradezu der Prototyp des Starren. Nur wenn der Raumbegriff selbst und nicht nur das Handeln als bewegt gefaßt wird, können auch Veränderungen von Räumen verstanden werden. [...] Logisch ist es, der Organisation des Nacheinanders die Organisation des Nebeneinanders entgegenzusetzen.“

Martina Löw: Raumsoziologie (2001)

Mit mathematischen und physikalischen Erkenntnissen hebt sich die Annahme der Dualität von Materie und Raum auf. Raum und Zeit können jetzt nicht mehr absolut bestimmt werden, sondern sind abhängig von Beobachter*innen. Raum ist keine Gegebenheit mehr, sondern entsteht aus der Struktur der relativen Lage von Körpern, wird konstituiert durch soziale Operationen. Damit entsteht ein Verständnis des Raums als netzartiges Produkt der relationalen Lagebeziehungen zwischen Körpern.032008
vgl. Thomas Latka: Die vier Raumvorstellungen

Auch Bourdieu geht davon aus, dass „die handelnden Menschen Strukturen schaffen und aufrechterhalten, Strukturen also keine vom Menschen unabhängige Existenz aufweisen. Struktur und Handeln (entsprechend dem Habitus) fließen bei Bourdieu zusammen im Begriff des sozialen Raums. Den Begriff des sozialen Raums verwendet Bourdieu häufig synonym mit dem Begriff des Feldes.“ 042001
Martina Löw: Raumsoziologie
Das Feld, das durch Aktivität und Verknüpfungen entsteht, finde ich auch in der immateriellen Architektur, im Internet, das ein globales, großflächiges Netz zu schaffen scheint und somit räumliche Distanzen aufhebt. Austausch und soziale Interaktion finden im Raum statt, wobei die geographische Verortung in den Hintergrund rückt und an Bedeutung verliert. „Paetau: ‚Der soziale Raum wäre dann nicht mehr durch geographische Aspekte (Anordnungsmuster der Standorte von Menschen und Artefakten) bestimmt, sondern primär als ein Koordinatensystem von sozialen Handlungen bzw. sozialen Positionen (Bourdieu) oder als ein Netzwerk von Kommunikation (Luhmann), das sich von seinen geographischen Voraussetzungen weitgehend befreit hat.‘“052005
Urmila Goel: Was bedeutet eigentlich virtueller Raum?

Unser Raumverständnis wird sich weiterentwickeln und verändern, besonders durch den Umgang mit aktuellen Medien werden veraltete Vorstellungen erweitert und revolutioniert. Die immaterielle Architektur macht noch einmal mehr deutlich, dass Raum nicht von Handlung gelöst betrachtet werden kann.

„Die Entwicklung des Internet trägt mit dazu bei, Raum nicht mehr länger als gegebene Konstante zu verstehen, als Behälter oder Rahmen, in dem sich Soziales abspielt, sondern als durch soziale Praktiken erst Erzeugtes aufzufassen und damit von Räumen auszugehen, die es nicht immer schon gibt, sondern die erst durch Handlungen hervorgebracht werden. Ein solches Raumverständnis dürfte erhebliche Konsequenzen auf allen gesellschaftlichen Ebenen [...] haben, denn es erlaubt zumindest die Vorstellung, dass sich an ein und demselben Ort die verschiedensten Räume befinden können.“

Markus Schroer: Land und (Daten-)Meer (2001)

01 Markus Schroer:

Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (2005), S.31 f.

02 Martina Löw:

Raumsoziologie (2001), S.65 f.

03 Thomas Latka (04.2019):

Die vier Raumvorstellungen

04 Martina Löw:

Raumsoziologie (2001), S.180 f.

05 Urmila Goel (04.2019):

Was bedeutet eigentlich virtueller Raum?

06 Markus Schroer (04.2019):

Land und (Daten-)Meer

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