Besonders die räumliche Erfahrung im Web erweitert die Aufgaben der Grafiker*innen und
Kommunikationsdesigner*innen. „Neben der Visualisierung von Konzepten tritt die Organisation von Information
mit dem Ziel, kognitive Entropie abzubauen. [...] Gerade die digitalen Medien machen deutlich, daß visuelle
Gestaltung nicht eine illustrative Zusatztätigkeit ist, sonder die hinter dem Sichtbaren liegenden Strukturen
angeht.“ 011996
Gui Bonsiepe:
Interface. Design neu begreifen
Wir strukturieren Elemente, die Vielzahl an Informationen sowie Informationsebenen und bieten Werkzeuge zur
Navigation an.
Deshalb ist besonders spannend, wie Immaterielles sichtbar gemacht wird. Bolter und Gromala formulieren, dass
digitale Artefakte zwischen Transparenz und Reflexion oszillieren. 022003
vgl. Jay David Bolter, Diane Gromala: Windows and
Mirrors
Mit unseren Mitteln und Techniken müssen wir die Balance finden, immaterielle Strukturen für den User
transparent zu gestalten, aber Informationen auch durch Reflektieren aufzubereiten, lesbar zu machen. Wieder
spielt hierbei die Wahrnehmung der räumlichen Umgebung eine große Rolle.
Das Interface als Raum, als Schwelle darf nicht unsichtbar werden, sonst besteht die Gefahr, dass sich die
Besucher*innen in einem konturlosen Raum wiederfinden. Interaktionselemente wie ein Menu, Buttons oder
weiterführende Links müssen sich sinnvoll integrieren, einmal im Vordergrund stehen, sich ein anderes Mal
zurücknehmen, um den Fokus auf andere Inhalten zu bieten. Das Interface muss einige Aktionen voraussehen
können, den User und die Beziehung zum Interface reflektierend. 032003
vgl. Jay David Bolter, Diane Gromala: Windows and
Mirrors
Bolter und Gromala beschrieben, dass wir durch einen Blick in den Spiegel uns selbst und unseren Kontext,
also
den Raum hinter und um uns, sehen. Mit Interfaces würde es sich ähnlich verhalten, denn sie zeigen auch die
User
im Kontext, spiegeln zudem deren materielle Architektur wieder, Kultur und Sprache. 042003
vgl. Jay David Bolter,
Diane
Gromala: Windows and Mirrors
Durch das gestalterische Konzept, damit verbunden die Informationsstruktur, sowie Visualität und Interaktion,
kann der/die Besucher*in ihren Kontext wahrnehmen und im Prozess Kontexte neu definieren.
Die Prozesse und Interaktionen können sehr verschieden sein. Ein Film auf Amazon Prime Video auszuwählen oder auf Mubi zu sehen, macht einen Unterschied. Mit dem TGV oder der Transsibirische Eisenbahn zu reisen, bringt unterschiedliche Erfahrungen mit sich. Man wird verschiedene Kontexte wahrnehmen, landschaftlich, sprachlich und sozial. Vielleicht genügt schon die Vorstellung des Öffnens einer Tür. In Zimmern des Rathauses wird man andere Materialien vorfinden als im Kino. Zweck dieses Projekts ist nicht, deine Vorstellungskraft einzuschränken. Vielleicht bleibt die Erkenntnis, dass Kontexte nebeneinander und ineinander verzahnt stattfinden und durch Interface neu wahrgenommen werden.
Durch das stetige Neu-Definieren von Kontexten fällt besonders auf, dass Websites erst mit der Nutzung und Benutzung zu beurteilen sind. Eine nur visuelle Umsetzung ist noch kein Produkt. Aber wie auch bei materieller Architektur hilft es, an Prototypen zu lernen, Vorstellungen zu entwickeln, mit Situationen des Scheiterns umzugehen, den konzeptuellen Entwurfsprozess fortzusetzen.
Bonsiepe beschreibt, was ein Misserfolg im Prozess bedeutet. Laut ihm „[enthüllt] ein Bruch das Gewebe der
für
die Erfüllung der Aufgabe notwendigen Beziehungen. Daraus folgt eine klare Zielvorgabe für das Entwerfen: die
Formen von Brüchen zu antizipieren und einen Raum von Handlungsmöglichkeiten zu erschließen für den Fall daß
sie
sich ereignen.“ 071996
Gui
Bonsiepe: Interface. Design neu begreifen
Durch das nicht-lineare Ablaufen und Begreifen einer Website müssen wir es als Gestalter*innen als positive Herausforderung sehen, die Handlungen und Erfahrungen des Users auf der Website nur grob choreographieren zu können. Vielleicht ist die Vorstellung eines Gebäudes passend, in das man an jedem Ort einspringen und austreten kann, Treppen, die jede Form der Bewegung zulassen, ein Bau, der zum umstrukturieren einlädt.
Interface. Design neu begreifen (1996), S.74 f.
Windows and Mirrors (2003), S.6
Windows and Mirrors (2003), S.26
Windows and Mirrors (2003), S.27
Touch Me! Das Geheimnis der Oberfläche (2011), S.64
Windows and Mirrors (2003), S.27
Interface. Design neu begreifen (1996), S.184