METAPHER
Materieller Raum als Erfahrungsbereich
Im Dialog über das Internet und im Umgang mit Interfaces haben sich eine Vielzahl von metaphorischen
Ausdrücken etabliert.
Wikipedia beschreibt die Metapher als einen sprachlicher Ausdruck, „bei dem ein Wort (eine Wortgruppe) aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird.“ 01
Wikipedia: Metapher
Die Metapher erleichtert so das Beschreiben eines neuen Sachverhalts, in dem man Begriffe einer
gewohnten Umgebung auf diesen anwendet. Durch das Übertragen von Begriffen, können wir uns einer Thematik
annähern, diese verstehen und interpretieren. Das Unbekannte wird verständlich und wird durch die Metapher
vorstellbar.
Neu geschaffene Begriffe hingegen, die an keinen Erfahrungs- oder Ähnlichkeitsbereich erinnern, würden ein Verstehen des neuen Sachverhalts erschweren und verlangsamen.
„Damit wir die Welt verstehen und in ihr existieren können, müssen wir die Objekte und Erfahrungen, denen wir im Leben begegnen, in einer Weise kategorisieren, die uns plausibel erscheint. Einige unserer Kategorien gehen unmittelbar aus der menschlichen Erfahrung hervor – auf der Basis der Conditio Humana sowie unserer Interaktionen mit anderen Menschen und unserer physischen und sozialen Umwelt. [...] Wir [haben] demonstriert, daß wir über natürliche Dimensionen verfügen, die wir unseren Kategorien für Objekte zuschreiben: die Dimensionen der Wahrnehmung, die auf der Vorstellung beruht, die wir uns mittels unserer Sinneswerkzeuge von dem Objekt machen; die Dimension der motorischen Aktivität, die darauf beruht, wie die motorischen Interaktionen mit Objekten beschaffen sind; die Dimensionen der Funktion, die auf unserer Vorstellung beruht, die wir uns von den Funktionen des Objekts machen; und die Dimension des Zweckes, die darauf beruht, wie wir ein Objekt in einer gegebenen Situation benutzen können.“
George Lakoff und Mark Johnson: Leben in Metaphern (2011)
Der materielle Raum als Erfahrungsbereich ist die Basis für unser Handeln und Verräumlichung (spatialization) grundlegend für unsere Wahrnehmung. Es ist der Wahrnehmungsbereich mit dem wir seit Kindesalter vertraut sind. Die materielle Architektur bietet als Erfahrungswelt eine Vielfalt an metaphoischen Ausdrücken. Eine Kombination von räumlichen Metaphern ist möglich, so dass sich Sachverhalte durch Lokalisierung aufbauen (Lightbox in der Gallery) und funktional ausbauen lassen (Button auf Hover). Die Vorstellungskraft und das Gedächtnis werden durch Schilderungen, die in den räumlichen Kontext übertragen werden, unterstützt. Durch fiktive (nur in der Vorstellung existente) Lokalisierung im Raum, Positionierung zueinander, Anordnungen und Bewegungen werden Konzepte veranschaulicht und konkretisiert, wodurch Komplexes leichter verstanden werden kann.
„We define spatialization as a projection of elements of a high-dimensional information space into a low-dimensional, potentially experiential, representational space.“
Andre Skupin and Barbara P. Buttenfield: Spatial metaphors for visualizing information spaces (1997)
Offensichtlich hat das Konzept der materiellen Architektur viel Ähnlichkeit mit dem Internet. Unbekannter Raum wird mit dem bekannten assoziiert, auf Parallelerscheinungen und Kontiguität untersucht. Neue Elemente werden mit Begriffen aus dem vertrauten Raum beschrieben, wodurch Ort, Bewegung oder Funktion erlernt werden. Die Wahl der Erfahrungswelten und der Begriffe hat eine große Wirkung auf den Umgang mit „neuen“ Medien.
Metaphern sind entscheidend und können auch manipulativ eingesetzt werden. Die Wahl sowie der Einsatz von Metaphern formen das Verstehen – und damit auch die Nutzung, die Erfahrungen und das Verständnis einer Realität des neuen Bereichs. Schroer führt in „Räume, Orte, Grenzen“ drei Metaphern auf, die das Internet als Konstrukt und Konzept vor einiger Zeit verständlich machen sollten. Jeder Begriff stellt bestimmte Qualitäten in den Vordergrund, während andere Eigenschaften missachtet werden.
Bill Gates kritisierte die Metapher der „Datenautobahn“ (ein von Al Gore geprägter Begriff Mitte der 1990er
Jahre), die den Eindruck schafft, man müsse sich durch eine Landschaft von Ort A zu Ort B bewegen. Denn zum
einen werden mit neuen Kommunikationssystemen Entfernungen aufgehoben, zum anderen bieten die neuen
Techniken vielmehr als eine vorgegebene Strecke an. Die Vorstellung von Landstraßen, auf denen man die
Möglichkeit hat, sich umzuschauen und persönlichen Interessen zu folgen, käme dem Gebrauch des Netzwerk
näher. Durch den eingeführten Begriff und der Analogie zum Erfahrungsbereich des Autoverkehrs sollte
Vertrauen und Offenheit für die neue, schnelle Technologie gewonnen werden. 032005
Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg
zu einer Soziologie des Raums
Die Metapher des Begriffs „Global Village“ ist ein Begriff von Medientheoretiker Marshall McLuhan, der diesen
in den 1960er Jahren formulierte. McLuhan prophezeite, dass Medien dafür sorgen, „dass wir an einem Ort
beinahe in Echtzeit von Ereignissen erfahren, die sich zwar kilometerweit entfernt von uns zutragen, aber so
wirken, als ob sie sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft abspielten.“ 032005
Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg
zu einer Soziologie des Raums
Nachbarschaft und Urbanität spielen auch in der Metapher der „digitalen Stadt“ eine große Rolle. Sie
illustriert, dass charakteristische Merkmale urbaner Strukturen, Funktionen und Tätigkeiten im Netz
wiederzufinden sind.
So „[scheinen] die Stadt und das Urbane im Netz einen neuen Ort gefunden zu haben. Wie in der realen Stadt
finden wir auch in der digitalen glitzernde Paläste neben schäbigen Häusern, Prachtboulevards neben
verwahrlosten Gassen, Rotlichtviertel neben Spielplätzen. [...] Man betritt Orte, überschreitet Schwellen,
verweilt hier und dort, verliert sich bei der Betrachtung von Anziehendem, flüchtet vor Abschreckendem,
gerät in Sackgassen, tritt den Rückzug an, kehrt zurück an den Ausgangspunkt, um festzustellen, wie viele
BesucherInnen während der eigenen Abwesenheit das eigene Heim, die Homepage, besucht haben. Und so bietet
der Netzraum tatsächlich vieles dessen an, was sich in den realen Städten immer weiter zu verflüchtigen
scheint: Eine Mischung der verschiedensten Lebensstile, eine Begegnung mit dem Unbekannten, die
Kontaktaufnahme zu Fremden, die Konfrontation mit Dingen, die man bisher noch nicht gesehen hatte, und die
Möglichkeiten der permanenten Neuerfindung des eigenen Selbst.“ 042005
Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg
zu einer Soziologie des Raums
Wie der neue Erfahrungsbereich metaphorisch beschrieben wird, beeinflusst, wie wir diesen verstehen. Wir
erahnen eine Realität des Unsichtbaren. Unser Verständnis des unbekannten Bereichs
prägt unsere Nutzung. Mit Metaphern formen wir also einen Erfahrungsbereich, ein Produkt und den Umgang mit
diesem.
Budke, Kanwischer und Pott beschreiben in „Internetgeographien, Beobachtungen zum Verhältnis von Internet,
Raum und Gesellschaft“, dass räumliche Metaphern im Kontext der Internetnutzung Denkbilder erzeugen können,
die helfen, einen sinnlichen Bezug des Selbst in dem Medium Internet herzustellen.052004
vgl. Budke, Kanwischer,
Pott: Internetgeographien, Beobachtungen zum Verhältnis von Internet, Raum und
Gesellschaft
Sprechen wir vom Internet und Interfaces, so existieren in diesen Bereichen Metaphern, die ihren Ursprung größtenteils im räumlichen Erfahrungsbereich haben. Dimensionen, Strukturen und Zusammenhänge sind teilweise semantisch nicht immer korrekt. Wir gehen ins Netz, die Startseite ist das Zuhause, das Klicken öffnet neue Fenster oder beim Betätigen des Buttons klappt das Menu aus, Breadcrumbs lassen den Path nachvollziehen. Eine Kohärenz gilt nicht vollkommen, Logik besteht nicht unbedingt. Die immaterielle Architektur ist nicht mit der materiellen gleichzusetzen, aber in Wahrnehmung, Interaktion, Funktion und Zweck finden wir zahlreiche Parallelen und können das sinnbildlich kommunizieren.
01 Wikipedia (04.2019):
02 George Lakoff und Mark Johnson:
Leben in Metaphern: Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern (2011), S. 186 f.
03 Andre Skupin and Barbara P. Buttenfield:
Spatial metaphors for visualizing information spaces (1997), S.2
04 Markus Schroer:
Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (2005), S.255 ff.
05 Budke, Kanwischer, Pott:
Internetgeographien, Beobachtungen zum Verhältnis von Internet, Raum und Gesellschaft (2004), S.112