WERKZEUGE
Auswahl von Handlungsmöglichkeiten
Löw schildert, dass die Konstitution von Raum auch eine Handlungsdimension beinhaltet. 012000
vgl. Martina Löw:
Raumsoziologie Wie wir im Netz, auf Webseiten handeln, hängt auch vom Objekt ab, das als
genutzt wird. Bonsiepe beschreibt das „Interface als die Domäne, in der die strukturelle Kopplung
zwischen Computerprogramm und Nutzer geschieht“. 02 1983
Gui Bonsiepe: Interface. Design neu begreifen
Laut ihm ist es „ein Medium, das frustrieren und verärgern, das Lernen erleichtern oder erschweren kann, das
Spass und Gelassenheit im Umgang mit Informationen oder Langeweile und Stress erzeugen kann, das
Zusammenhänge erhellen oder milchig-opak belassen kann, das Möglichkeiten effektiven instrumentellen und
kommunikativen Handelns eröffnen oder vereiteln kann. Darum ist es legitim zu behaupten: Interface is where
the action is.“ 031994
Gui
Bonsiepe: Das Interface im Design-Dreieck in
Hochparterre in Zeitschrift für Architektur und Design, Band 7
Als Besucher eines Gebäudes, einer Stadt oder einer Website nehmen wir die Umwelt war, bringen uns auf jegliche
Weise ein. Wir können aktiv aus Handlungmöglichkeiten auswählen, auf dem Marktplatz Platz nehmen und still
beobachten, Leute ansprechen, kommunizieren, spielerisch agieren. Auch im Netz kann es gelingen, nicht nur auf
Reize von Aussen zu reagieren, wie ein Ball fremder Mächte, sondern bewusster eine Auswahl von Möglichkeiten zu
treffen.
Eine Beobachtung am Marktplatz wie der weiterführende Link sind angebotene Objekte, die durch Prozess, durch
Aktivität zum Werkzeug werden. De Certeau (1984) beschreibt, dass der Spaziergänger das Urbane als eine Praxis
des Alltags erlebt, während der Planer die Stadt als ein Konzept erfährt. 042017
vgl. Naomi Smith and Peter Walters: Desire lines and
defensive architecture in modern urban environments Erst durch das Wählen von Wegen, wie wir
sie als User und Besucher*in für sinnvoll halten, verlässt der Raum die konzeptionelle Ebene und wird durch
Nutzung gestaltet.
Zudem behauptet De Certeau, dass das Durchwandern einer Umgebung, das Erfahren eines Raums, räumliche
Signifikanten, „Input“ in etwas anderes umwandelt oder transformiert. Diese Veränderung und Interpretation der
Umgebung hat das Potenzial, soziale Räume auf- oder abzubauen. Es ist ein Wirken der Werkzeuge auf die
User und Besucher zu beobachten, wie die Wirkung der Users auf die Objekte und Werkzeuge (wie bewusstes Wählen
oder Ignorieren von Pfaden).
Varianten der Wegführung und Nutzung vervielfachen sich, wenn für die Planer unbekannte Wege eingeschlagen
werden. 052017
vgl. Naomi Smith
and Peter Walters: Desire lines and defensive architecture in modern urban environments
Das kreieren neuer Wege ist dabei ein offensichtliches Eingreifen in die entworfene Umgebung, kann als
partizipatives Gestalten verstanden werden.
Smith und Walters beschreiben Trampelpfade (desire lines) als Muster, die die Verbindung innerhalb eines Ortes
und
zwischen Orten durch das Gehen neu abbilden. So kann diese neue Wegführung als Muster einer erneuten, sehr
subjektiven Interpretation und Positionierung in der Umgebung bezeichnet werden.
062017
vgl. Naomi Smith and Peter Walters: Desire lines
and
defensive architecture in modern urban environments
Die Umgebung kann diese Neuinterpretation und Positionierung unterstützen oder etwas entgegenhalten. „Input“,
der Eindruck einer steilen Treppe oder ein verzögertes Loading von Inhalten halten uns auf, fördern aber zudem
eine
Auseinandersetzung mit dem Umfeld und schaffen je nach Wahrnehmung ein eigenes Bild. Die genannten Werkzeuge
stellen nicht nur Hilfestellungen zur Lösung von Problemen dar (Wie komme ich zum Bauwerk?), sondern regen an,
Fragen zu stellen (Weshalb wurde dieser Weg so gebaut? Warum soll ich warten - worauf warte ich eigentlich?).
„And this is perhaps the most important: Let the tools you make ask questions, not just solve problems.“
Sara Hendren: All Technology is assistive (2014)
Natürlich sind wir abhängig davon, dass Informationen transformiert werden, um von der menschlichen Wahrnehmung
überhaupt erfasst werden zu können. Und wir sind angewiesen, dass Algorithmen die Datenmengen reduzieren und
übersetzen. 082016
vgl. Felix
Stalder: Kultur der Digitalität
Zudem ist klar, dass User Flow und Findability gegeben sein müssen, um an Orte und Inhalte zu gelangen, doch
leider werden die Anforderungen großer Unternehmen, ein Vorsortieren von Inhalten und das Einbetten von Werbung,
priorisiert. Damit Web in Zukunft noch oder (optimistisch betrachtet) noch mehr für den Menschen, das Individuum
funktioniert, müssen Bedeutung und Kontext in den Vordergrund gerückt werden. Der Missbrauch algorithmischer
Systeme für
kommerzielle Zwecke muss zurückgeschraubt werden. Das Schaffen eines Zusammenhangs und das hierarchische
Strukturieren von Informationen sollte inhaltlich und weniger wirtschaftlich basiert sein. Und dabei fällt
wiederholt auf, dass diesen Anspruch große Plattformen nicht leisten können, diesem Anspruch nicht gerecht
werden wollen. Allein durch Konzentration auf Austausch und Inhalte kann eine Reformation des Habitus im Web
erzeugt werden.
Auf der persönlichen Website, im privaten Raum benötigen wir Werkzeuge, die helfen, das eigene Referenzsystem
aufzubauen, Kontakte zu knüpfen, Verlinkungen herzustellen und nach außen zu tragen.
„Das Bild der Umwelt ist das Ergebnis eines Prozesses, der zwischen dem Beobachter und seiner Umwelt
stattfindet. Die Umgebung bietet Unterscheidungen und Beziehungen, und der Beobachter wählt und fügt [...]
zusammen und gibt dem, was er sieht, eine Bedeutung.“
Kevin Lynch: Das Bild der Stadt (1993)
01 Martina Löw:
Raumsoziologie (2001), vgl. S.111
02 Gui Bonsiepe:
Interface. Design neu begreifen (Semiology of Graphics. 1983), S.52
03 Gui Bonsiepe:
Das Interface im Design-Dreieck in Hochparterre in Zeitschrift für Architektur und Design, Band 7 (1994)
04 Naomi Smith and Peter Walters:
Desire lines and defensive architecture in modern urban environments (2017), S.8
05 De Certeau in Naomi Smith and Peter Walters:
Desire lines and defensive architecture in modern urban environments (2017), S.9
06 Naomi Smith and Peter Walters:
Desire lines and defensive architecture in modern urban environments (2017), S.9
07 Sara Hendren (04.2019):
All Technology is Assistive
08 Felix Stalder:
Kultur der Digitalität (2016), S.96
09 Kevin Lynch:
Das Bild der Stadt (1993), S.16